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St. Lamberti - Ausgrabung einer untergegangenen Kirche

Die dritte Grabungskampagne im Jahr 2000

Nachdem die vorange­gangenen Grabungs­kampagnen die Kirche im Bereich des nördlichen Seitenchores erschlossen, sollte im dritten Jahr das Kirchenschiff in der Nähe des Turms ergraben werden. Vom Turm aus gesehen wählten wir das zweite Joch für die Anlage des Schnittes; laut den vorliegenden Plänen war dieser Bereich von den Sicherungs- und Umbaumaß­nahmen des 18. Jahr­hunderts nicht betroffen. Insbesondere hofften wir hier eine weitere Seitenkapelle, eventuell wieder mit einer Gruftanlage zu entdecken. Wie in den vorherigen Jahren stand die Grabung unter der Schirmherrschaft des Vereins Lüneburger Stadtarchäologie, der für die notwendige Unterstützung der örtlichen Wirtschaft sorgte und die Kosten der Unterkunft für die auswärtigen freiwilligen studentischen Mitarbeiter übernahm.

Anfang Juni wurde ein 6 mal 15 m großer Schnitt geöffnet. Er reichte von der Nordseite der Kirche bis in die Mitte des Hauptschiffs hinein. Da in den letzten Jahren die Befunde dicht unterhalb der Grasnarbe lagen, verzichteten wir auch in diesem Jahr vorsorglich auf den Einsatz von Maschinen.

Leider barg dieser Schnitt auch eine Enttäuschung, ein Splitter­schutzgraben aus dem 2. Weltkrieg hatte einen Großteil der Außenfundamente und der Seitenkapelle nahezu vollständig zerstört. 1942 wurden insgesamt drei dieser langge­streckten, etwa drei Meter breiten Gräben als öffentliche Luftschutz­anlagen auf dem Platz angelegt. Bereits im letzten Jahr stießen wir auf einen Teil dieses Grabensystems und mussten dabei feststellen, dass diese Gräben bis in den gewachsenen Boden hineinreichten und sämtliche Befunde vernichtet hatten. Nachdem feststand, dass es sich hier um einen der Luftschutz­gräben handelt, wurde auf eine weitere Ausgrabung in diesem Abschnitt verzichtet.

Nördlich und südlich an den Splittergraben schlossen sich ungestörte Schichten an. Südlich des Grabens konnte erstmals das Fußbodenniveau der Kirche dokumentiert werden. Zwei ca. 1 m² große Reste zeigen, dass das nördliche Seitenschiff mit einem einfachen Boden aus trocken gesetzten Backsteinen gepflastert war und der Backsteinboden im Hauptschiff im Bodenfragment im Fischgrätmuster
Im Vordergrund Bodenfragment mit schräg versetzt angeordneten Backsteinen, im Hintergrund schließen das nach Westen abgekippte Pfeilerfundament und die dazugehörige Baugrube an.
 
 verlegt war.

Zwei große Fundamentreste am West- und Ostrand des Schnittes belegen den Standort der beiden westlichen Pfeiler. Hier konnten wir auch den Grund für den Abriss eindrucksvoll nachweisen. Die Kirche stand am Rand des Lüneburger Senkungsgebietes, gerade diese Abbruchkante war in der Vergangenheit für die Zerstörung vieler Baudenkmäler verantwortlich.

Während der westliche Pfeiler aus der Erbauungszeit stammt und stark nach Westen gekippt ist, zeigt der östlich anschließende Pfeiler eine Ausbesserung aus dem 18. Jahrhundert. Um 1730 war die Neigung der Pfeiler nach Westen so bedrohlich geworden, dass man sich zu umfangreichen Sicherungsmassnahmen entschloss. Die Gewölbe der ersten beiden Joche wurden durch eine Holzdecke ersetzt und die zugehörigen Pfeiler von Westen durch eine Aufmauerung unterfangen.

Die ursprüngliche Fassung zeigt eine massive Konstruktion aus sauber gemauerten Backsteinen, dagegen besteht die Sicherungsmaßnahme des 18. Jahrhunderts aus einem Schalenmauerwerk, welches aus Backsteinen und Feldsteinen aufgemauert und im Inneren mit Bauschutt verfüllt wurde.

Der oben erwähnte Splitterschutzgraben hat die an das nördliche Seitenschiff angeschlossene Kapelle vollständig zerstört, wir konnten nur wenige Reste der nördlichen Seitenmauer und zweier Außenpfeiler freilegen. Der westliche Außenpfeiler hatte einen Aufbau, der den bisher ergrabenen Fundamenten entspricht. Zwischen mehreren Lagen Backsteinen oder Feldsteinen befand sich je eine saubere Sandschicht.

Von dem anderen Außenpfeiler war nur die unterste Lage erhalten, beim Abriss der Kirche wurde das Fundament bis auf dieses Niveau hin abgetragen. Dennoch konnte hier eine andere Art der Fundamentierung aufgedeckt werden. Die unterste Ebene des großen rechteckigen großes Pfeilerfundament
Unterste Lage des großen Pfeilerfundaments an der Nordseite der Kirche, Blick nach Süden. Jenseits der Steinreihe sind kleine, rechteckige, mit dunklem Boden verfüllte Pfostenlöcher erkennbar (unterhalb des ehemaligen Pfeilers); im Vordergrund parallele Pfostenreihen, nach Osten bis zu sechs Reihen nebeneinander.
 
 war an der nördlichen und westlichen Kante von sieben, nah beieinander gesetzten, großen Feldsteinen begrenzt. Im Inneren waren unter einer ca. 5 cm starken Gipsmörtelschicht etwa 30 rechteckige Pfosten eingeschlagen. Die Verfüllung dieser Pfosten war so locker, dass wir einige mit dem Staubsauger aussaugen und die entstandene Höhlung mit Gips ausgießen konnten. Dabei ergab sich, dass es sich durchweg um annähernd quadratische Pfosten von ca. 10 cm Kantenlänge handelte, die am unteren Ende angespitzt waren. Die Pfosten waren im Durchschnitt nur etwa 30–40 cm lang. Auch nördlich der Feldsteine, also außerhalb der ehemaligen Kirche, konnten wir Reihen dieser Pfahlgründungen dokumentieren. Die Fortsetzungen dieser Befunde nach Süden sind durch den Splitterschutzgraben vollständig zerstört. Bei dem vorliegenden Sandboden ist diese Art der Fundamentierung eigentlich unnötig, möglicherweise traten aber schon bei der Erbauung der Kirche erste Senkungsschäden auf, die man durch diese aufwändige Anlage zu kompensieren versuchte.

Nahezu überall im Inneren des Kirchenbaus konnten wir Hinweise auf die Zustände auf dem Gelände vor dem Bau der Kirche aufdecken. Eine bis zu 25 cm starke Schicht aus verziegeltem Lehm gehört eindeutig in einen Horizont, der älter als die Kirche ist. Die Fundamente der Mittelpfeiler schneiden diese Befunde, sind somit jünger als dieser Brandhorizont. Unterhalb dieses Horizontes konnten wir Keramik des 10. bis 12. Jahrhunderts bergen. Durch die späteren Eingrabungen und Bestattungen ist dieser Befund allerdings sehr stark gestört.

In diesem Jahr konnten wir wiederum zahlreiche Bestattungen freilegen, bis auf eine befanden sich alle im Hauptschiff. Alle Bestattungen wurden in Holzsärgen vorgenommen, zumeist besaßen die Särge wieder metallene Griffe, je einen am Kopf- und Fußende und je zwei an den Seiten. Allerdings waren bei einer Bestattung nur vier Griffe am Sarg angebracht, statt zwei Griffen an jeder Längsseite befand sich hier nur je ein Griff in der Körpermitte. Bei mehreren anderen Särgen fehlten die Griffe ganz. Sehr wahrscheinlich lassen sich dadurch auch soziale Unterschiede ausmachen.

Auch hier im Westteil der Kirche war der Platz so knapp, dass in mehreren Lagen übereinander bestattet wurde, in einem Fall überlagerten sich insgesamt drei Gräber.

Eine Bestattung hob sich durch ihre ungewöhnlich zahlreichen Schmuckbeigaben hervor. Diese Beigaben ermöglichten schon vor Ort eine Geschlechtsbestimmung. Die Frau trug an jedem Arm ein Armband aus Hohlglasperlen und auf dem Haupt eine . Schädel mit Resten einer Totenkrone
Der abgerutschte Reif der Totenkrone ist als dunkle Wulst seitlich des Schädels erkennbar. Unterhalb des linken Ohrs liegen die Perlen des Anhängers zum Teil noch im ursprünglichen Verbund.
 
 Diese war wie ein Haarreif auf dem Mittelhauptscheitel befestigt, am Metallkern des Reifs hatten sich Reste des aufgenähten Textilgewebes und des Haupthaars erhalten. Auf Höhe der Ohren lagen zwei rautenförmige Anhänger aus einem feinen Kupfer- oder Bronzegeflecht, auf das verschieden große Glasperlen aufgezogen sind. Ein Großteil dieser Perlen hat nur einen Durchmesser von unter einem Millimeter. Die Anhänger wurden im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege restauriert. Die Armbänder bestehen aus mehreren Reihen hohler Glasperlen, die ursprünglich wohl farblos waren. Die unmittelbar benachbarte Bestattung enthielt ebenfalls ein weibliches Skelett, an dem besonders bemerkenswert der ausgesprochen schlechte Zustand der Zähne ist. Neben mehreren Zahnlücken und ausgeprägtem Schiefstand einiger Zähne wiesen Ober- und Unterkiefer linksseitig starken Kariesbefall auf, der rechte Unterkiefer hingegen sehr ausgeprägten , menschlicher Unterkiefer
Menschlicher Unterkiefer mit starker Zahnsteinbildung; die anthropologische Untersuchung bestätigte die durch die Fundumstände nahegelegte Vermutung, dass die Tote eine junge Frau war.
 
 aber kaum Abnutzung. Die junge Frau hatte – wahrscheinlich aufgrund von Schmerzen – offenbar über Jahre nur mit der linken Kieferhäfte gekaut.

Während jeder der vorigen drei Schnitte jeweils eine große Gruft für mindestens zwei nebeneinander gebettete Bestattungen enthielt, fand sich im letzten Schnitt nur eine kleine Gruft mit Platz für nur einen Toten. Die generelle Konstruktion der Gruft unterscheidet sich jedoch nicht von den bisher entdeckten Anlagen. Die Gruft ist in einem halbsteinstarken Verband aufgemauert und war wohl ursprünglich mit einer Grabplatte abgedeckt. Unter einer Schuttschicht lag die Bestattung in einem Holzsarg mit sechs Griffen, abgesehen von einigen Nadeln aus Buntmetall im Bereich des Schädeldachs ohne Beigaben. Die südliche Gruftmauer war vom Erddruck nach innen gedrückt und hatte die Bestattung teilweise überlagert.

Als besonderer Fund dieser Kampagne ist eine etwa 6x2 cm große, nach oben spitz zulaufende Metallplatte zu nennen, unter deren Korrosionsschicht sich vermutlich eine feuervergoldete Heiligendarstellung verbirgt. Sie wurde zur Restaurierung ins Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege gegeben.

Mit der Grabungskampagne 2000 wird die Ausgrabung der St. Lambertikirche vorläufig abgeschlossen. Ein ursprüngliches Ziel konnte nicht erreicht werden: Einen von uns vor Beginn der Ausgrabungen vermuteten Vorgängerbau konnten wir nicht nachweisen. Allerdings ließ sich die Diskrepanz zwischen historischer Erstnennung 1269 und dem bisher angenommenen Baubeginn einschränken. Die kunsthistorische Datierung des abgerissenen Baues in das ausgehende 14. Jahrhundert konnte durch unsere Grabung um etwa 100 Jahre korrigiert werden. Zumindest der Baubeginn gehört in die Jahrzehnte um das Jahr 1300. Leider konnten wir nicht die von dem Lüneburger Chronisten des 19. Jahrhunderts W. F. Volger genannte Gruft der Familie von Laffert finden. Laut Volger soll diese Gruft nicht verfüllt, sondern nur vemauert worden sein. Die Grabungen brachten dennoch wichtige Erkenntnisse zur mittelalterlichen Stadtgeschichte und zur Baugeschichte der verschwundenen St. Lambertikirche.

Da die geborgenen Funde bislang nur gereinigt und vorsortiert werden konnten, beginnen jetzt nach Abschluss der Ausgrabungen die weiteren Auswertungen. Zudem werden nun die anthropologischen Untersuchungen am Knochenmaterial vorgenommen. Von diesen Untersuchungen erhoffen wir uns weitere Aufschlüsse über die Lebensgewohnheiten in der alten Salzstadt Lüneburg.

Text: Marc Kühlborn, ähnlich in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 1/2001, 30-31.

Zu weiteren Ergebnissen siehe Literaturverzeichnis St. Lamberti.