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Objektgruppe Keramik

Sinne-Darstellungen auf Ofenkacheln

FO: Auf der Altstadt 29/30
rote Irdenware; Breite 20 cm (Geruch)
rote Irdenware mit heller Engobe; Breite 17,5 cm (Gehör)
2. Hälfte 16. Jahrhundert

Bei der Umgestaltung des Hofbereichs hinter dem Hause „Auf der Altstadt 30” wurde eine Kloake entdeckt, die im Rahmen der Bauarbeiten ausgegraben wurde. Unter den Funden befindet sich eine unglasierte Ofenkachel (Abb. 1). Dieser Schrühbrand weist, wie andere Funde, auf die Produktion einer Töpferei, die auf der Nachbarparzelle angesiedelt war.

Ofenkachel: Gehör
Abb. 1 und Abb. 2: Allegorie des Geruchs

Auf der Ofenkachel ist eine auf einer Bank sitzende Frau zu erkennen, deren Oberkörper entblößt ist und deren Oberschenkel mit einem Tuch bedeckt sind. In ihren Armen hält sie einen gewundenen Gegenstand. Auf ihrer linken Seite steht ein großer Vogel. Den Rand der noch unglasierten Ofenkachel bildet ein Eierstab. Das Motiv kann anhand der graphischen Vorlage identifiziert werden (Abb. 2). Es handelt sich um die Darstellung des Geruchs (Olfactus) aus der Serie der Fünf Sinne, die Georg Pencz (um 1500 – 1550) als Kupferstich um 1544 schuf. Die weibliche Figur hält in ihren Armen ein Füllhorn, neben ihr sitzt ein Geier, der durch einen guten Geruchssinn ausgezeichnet ist. Auf dem Kupferstich sind hinter der sitzenden Frau Blumen zu sehen, also ein weiteres Attribut für den Geruch.

Ofenkachel: Geruch
Abb. 3 und Abb. 4: Allegorie des Gehörs

Ebenfalls zur Serie der Fünf Sinne gehört ein Kachelmodelfragment, das auf dem benachbarten Töpfereigrundstück „Auf der Altstadt 29” geborgen wurde und dessen Motiv nur schwer zu identifizieren ist (Abb. 3). Man erkennt eine Harfe, ein menschliches Bein und nur schwach Tierbeine. Auch hier bildet der Eierstab den Rand. Die graphische Vorlage für diese Darstellung findet sich wiederum bei Georg Pencz (Abb. 4). Es handelt sich um eine weitere Allegorie aus der Serie der Fünf Sinne. Die Musikinstrumente und der Eber stehen für das Gehör.

Georg Pencz versah seine Kupferstiche am oberen Rand eines jeden Blattes mit dem lateinischen Namen des jeweiligen Sinnes, an den unteren Rändern erläutert ein kurzer Text die Eigenschaften der zugehörigen Tiere. Dieser Text geht auf ein lateinisches Gedicht des Thomas de Cantimprés (1201 – 1270/72) aus seinem „Liber de natura rerum” zurück: „Der Eber übertrifft uns durch sein Gehör / der Luchs durch sein Sehvermögen / der Geier durch seinen Geruchssinn / der Affe durch seinen Geschmackssinn / die Spinne durch ihren Tastsinn”.

Im Liber de natura rerum wird die mittelalterliche Vorstellung vermittelt, dass bei bestimmten Tieren die Sinnesorgane stärker ausgeprägt sind als beim Menschen. Pencz betont aber die menschliche Figur und folgt hier Aristoteles, der der Auffassung war, dass der Mensch im Unterschied zum Tier frei über seine Sinne verfügen kann.

Sowohl der Schrühbrand als auch der Model belegen, dass in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts Ofenkacheln mit der Serie der Fünf Sinne hergestellt wurden.

Literatur