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Objektgruppe Metall

Jaspar, Melchior, Bal…

Ein Fingerring aus Kupfer

FO: Beim Benedikt
Kupfer, Dm 21 mm; H. 3 mm,
letztes Viertel des 14. Jahrhunderts

Fingerring aus Kupfer

Im Sommer 2004 erforschte die Stadtarchäologie Lüneburg das Grundstück, auf dem sich bis 1782 die Baulichkeiten des Hospitals St. Benedicti befanden. Zu den beachtenswerten Funden der durchgeführten Ausgrabung gehört ein äußerlich eher unscheinbarer Ring aus Kupfer (Abb. 1). Sein Durchmesser beträgt 21 mm, die Höhe 3 mm. Der Ring ist nicht vollständig geschlossen, sondern weist eine ca. 2mm breite Lücke auf. Die beiden diese Lücke begrenzenden Enden des Ringes sind sorgfältig geglättet.

Die gesamte Außenseite des Objektes trägt eine erhabene Inschrift in gotischer Majuskel. Sie lautet: IASPAR : MELCHIOR : BAL<Lücke>I (?). Die Worttrennung erfolgt durch länglich ausgezogene Vierpassornamente in Zeilenhöhe. Einzelelemente des Schriftbildes wie der weit nach oben reichende dreieckförmige rechte Abschluss des L oder die geschwungene Form der linken Haste des A erlauben eine Datierung in das letzte Viertel des 14. Jahrhunderts.

Trotz der Unsicherheit in der Lesung am Ende der Inschrift ist eindeutig, dass neben den Namen Jaspar und Melchior der Name Balthasar gemeint ist. Ob dieser jemals vollständig ausgeschrieben war, die Lücke also nachträglich eingebracht wurde, lässt sich nicht entscheiden.

Die Namen verweisen auf den Dreikönigskult, der im späten Mittelalter eine erhebliche Rolle in der Volksfrömmigkeit spielte. Seit dem 9. Jahrhundert sind die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar für die drei Magier oder Weisen aus dem Morgenland belegt. Seit dem 12. Jahrhundert wird einer von ihnen stets als Mohr dargestellt, zuerst Balthasar, später dann Kaspar. Damit korrespondiert, dass die Magier oder Könige von nun an auch die drei Erdteile symbolisieren, wie seit dem Frühmittelalter bereits die drei Lebensalter. Solche Deutungen sind indessen von nachgeordneter Bedeutung, denn vorrangig stehen die Könige mit Christi Geburt in Verbindung.

Das Matthäusevangelium und, darauf basierend, das legendarische Schrifttum berichten von den drei Weisen aus dem Orient, die durch einen Stern auf die Geburt eines Königs im jüdischen Land hingewiesen werden und den Entschluss fassen, dem Neugeborenen zu huldigen. Sie treten ihre Reise an, gelangen nach Palästina, wenden sich dort an den jüdischen König Herodes, erbitten Auskunft über den Geburtsort und werden nach Bethlehem verwiesen. Herodes, der seine Position durch den neugeborenen König bedroht sieht, fordert die Orientalen auf, ihm nach Ende des Besuchs in Bethlehem Bericht zu erstatten. Dadurch erhofft er sich nähere Informationen, die seinen insgeheim gehegten Plänen, das Kind zu töten, dienlich wären. Die Weisen werden in einem Traum vor Herodes gewarnt und kehren auf anderem Weg zurück, nachdem sie Christus angebetet und ihm ihre Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhen dargebracht haben. Schon in der frühchristlichen Kunst ist die Anbetung der Könige wesentlicher und beliebter Gegenstand bildlicher Darstellung.

1158 wurden die Reliquien in Mailand aufgefunden, 1164 nach Köln überführt. Seitdem ist die Stadt das Zentrum des Dreikönigskultes. Er wurde von der offiziellen Kirche stets nur toleriert, fand jedoch gleichwohl große Popularität und weite Verbreitung. Die Könige wurden besonders als Patrone der Pilger und Reisenden angerufen. Man schützt sich gegen mannigfache böse Gewalten durch ein Bild der Könige, das man mit sich führt. In Brauchtum und Aberglauben spielt der Dreikönigstag, der 6. Januar, eine erhebliche Rolle. Sehr lebendig war die Vorstellung, die Könige seien zwischen Weihnachten und dem 6. Januar leibhaftig im Lande unterwegs. Der noch heute geübte Brauch des Sternsingens findet hier seine unmittelbaren Wurzeln.

In der Volksfrömmigkeit waren die Könige offensichtlich allgegenwärtig. Häufig trug man Königsdarstellungen bei sich, die Amulettcharakter besaßen. Eine solche Funktion ist auch dem Lüneburger Ring zuzusprechen. Er schützte seinen Träger nicht durch ein Bild, sondern gleich- oder gar höherrangig durch die Namen der Könige. Im übrigen gehört das Objekt zu jenen schlichten, mit Inschriften versehenen Fingerreifen, denen man - wie Ringen mit Heiligendarstellungen - magische Kräfte beimaß. Sie sollten den Träger vor Krankheiten oder auch dem Bösen bewahren. Somit ist der Lüneburger Ring also eher als Amulett und nicht als Pilgerzeichen anzusehen.

Solche Pilgerzeichen - zumeist filigrane, gegossene Reliefdarstellungen – sind seit dem 12. Jahrhundert nachzuweisen. Sie wurden in großer Zahl an Wallfahrtsorten produziert und von Pilgern als sichtbares Zeichen einer vollzogenen Wallfahrt erworben. Es ist gesichert, dass Pilgerzeichen an manchen Orten innerhalb weniger Wochen zu Hunderttausenden verkauft wurden. Es handelt sich also um ausgesprochene Massenerzeugnisse.

Als Massenerzeugnis ist allerdings auch der hier vorliegende Ring anzusehen. Dafür sprechen das Material wie auch Nachlässigkeiten bei der Schriftgestaltung. So stehen die Buchstaben nicht immer regelmäßig auf der Zeile, einer der trennenden Vierpässe ist stark aus der Achse verschoben.

Unmittelbare Vergleichsbeispiele haben sich nicht ermitteln lassen. Eine in Rotterdam gefundene Gewandspange indessen zeigt in Datierung, Funktion und Herstellungsart verblüffende Ähnlichkeiten. Das ringförmig Objekt, im Durchmesser 28 mm groß, besitzt in gotischer Majuskel die erhabene Inschrift IASPAR DALDASARI. Damit sind eindeutig Kaspar und Balthasar gemeint. Für den dritten Namen, Melchior, fehlt der Platz. Die Spange, mit einem noch vorhandenen Dorn versehen, wurde wie der Ring am Körper getragen, dürfte demnach ebenfalls als Amulett gedient haben. Auch hier ist von einem Massenartikel zu sprechen.

Lederkissen, um 1425
Lederkissen, um 1425

Zu beachten ist bei der Spange wie bei dem Ring, dass für Kaspar die niederdeutsche Sprachform „Jaspar” verwendet wird. Das Museum für das Fürstentum Lüneburg besitzt ein Lederkissen aus der Zeit um 1425 (Abb. 2) sowie ein aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammendes Agnus-dei-Ostensorium, ein Schaugefäß zur Präsentation einer kleinen geweihten Wachsscheibe mit Darstellung der Kreuzigung Christi, die beide inschriftlich die Namen der drei Könige tragen, für Kaspar jeweils in der niederdeutschen Version (Abb. 3). Aufgrund der Sprachform kann also mit der Entstehung des Ringes in Niederdeutschland gerechnet werden. Eine nähere Eingrenzung ist wegen fehlenden Vergleichsmaterials nicht möglich, jedoch ist an ein städtisches Zentrum zu denken.

Agnus-dei-Ostensorium, Mitte 15. Jh.
Agnus-dei-Ostensorium, Mitte 15. Jh.

Die genannten Museumsobjekte verweisen auf die Beliebtheit des Dreikönigskultes, und gerade das Ostensorium belegt seine Verankerung in der Volksfrömmigkeit besonders augenfällig. Es birgt einen Gegenstand, der selbst Objekt der Volksfrömmigkeit ist. Jene Wachsscheiben, wegen der Abbildung des Gekreuzigten – des Gotteslammes – „Agnus dei” genannt, mussten aus den Wachsresten der Osterkerze hergestellt werden. Seit der Amtszeit Martins V. (1417-1431) nahm ausschließlich der Pabst die Weihe dieser wie Reliquien verehrten Bilder vor. Auch hier handelt es sich um Massenartikel, Bezüge zu Pilgerzeichen und Amuletten lassen sich herstellen.

Heutige Maßstäbe scheinen nicht auszureichen, um sich vorstellen zu können, wie tief die Popularität der Heiligen drei Könige in der Bevölkerung verwurzelt war. Frantz Michelsen berichtet in seiner 1748 erschienenen handschriftlichen Chronik von Lüneburg zum Jahre 1563, dass Valentin Barchmann drei Geschütze gegossen hat, die auf den Wällen positioniert wurden. Diese drei Geschütze trugen die Namen der Heiligen drei Könige. 1563 herrschte in Lüneburg seit einem Menschenalter die lutherische Lehre, der Heiligenverehrung im katholischen Sinn fremd ist. Offensichtlich war die Wertschätzung der Könige ungebrochen. Sie waren, der religiösen Sphäre vermutlich partiell entrückt, von der offiziellen Kirche ohnehin nie anerkannt, längst zum Allgemeingut des Brauchtums geworden.

So liegt die Bedeutung des Lüneburger Ringes nicht allein darin, dass er auf den Dreikönigskult verweist, sondern vor allem darin, dass er in seiner unscheinbaren äußeren Gestalt die weite Verbreitung des Kultes belegt. Denn der Erwerb eines solchen Ringes, offensichtlich als Massenartikel hergestellt, war für jedermann erschwinglich, die zu unterstellende hohe Nachfrage konnte auf diese Weise befriedigt werden.

Autor: Eckhard Michael; in: Denkmalpflege in Lüneburg 2004, 7-12. Download PDF  (620 KB)

Literatur