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Objektgruppe Keramik

Fayence aus Hannoversch Münden

Potpourri mit Vergissmeinnichtblüten

Auf dem Wüstenort, Kloake 4
Höhe 28,5 cm
1760–1790

Im Rahmen von Erweiterung und Neubau des Karstadt-Kaufhauses in Lüneburg wurde die Bebauung auf den Grundstücken „Auf dem Wüstenort” und „Münzstraße” im Sommer 1991 erneuert. Bei den Ausschachtungsarbeiten entdeckte Herr Uwe Meyer mehrere Kloaken.

Bei einer Notbergung im Juni/Juli 1991 konnten ehrenamtliche Helfer zusammen mit Mitarbeitern des Instituts für Denkmalpflege das in den Kloaken auf dem Grundstück „Auf dem Wüstenort” enthaltene Material innerhalb eines Wochenendes bergen. Insgesamt wurden vier Kloaken beobachtet, die hauptsächlich Keramik und Glas erbrachten. Daneben wurden einige Tierknochen, Holz, Gewebereste und Leder geborgen; hinzu kommen noch wenige Metallgegenstände. Ein herausragender Fund ist eine Gipsestrichstatuette einer Anna Selbdritt. Zusätzlich wurde Material für eine botanische Analyse entnommen.

Potpourri, Lüneburg
Potpourri, Lüneburg, Zeichnung

Zahlreiche Bruchstücke eines Gefäßes aus Kloake 4 konnten zunächst nicht eingeordnet werden. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Gefäß um eine Netzvase aus Fayence handelt. Durch die Lagerung in der Kloake ist der Scherben grau verfärbt und die Bemalung ist kaum noch zu erkennen. Die Netzvase gehört ihren Proportionen nach zur Grundform Topf. Das Gefäß besitzt einen eingezogenen profilierten Fuß. Daran schließt sich ein eiförmiger Körper an, der in einen kurzen Hals übergeht. Die Gefäßwandung ist doppelt ausgeführt. Über der eigentlichen Wandung liegt ein Netzwerk mit reliefierten Vergissmeinnichtblüten an den Kreuzungspunkten, an Fuß und Hals sind bunte Streublumenzweige erkennbar, die in Scharffeuerfarben aufgebracht sind. Der Rand besitzt im Inneren eine Falz für einen Deckel.

Die Vase aus Fayence datiert in das 18. Jahrhundert. Die Funktion dieses Gefäßes liegt in der Lufterfrischung. In das Gefäß werden Wasser, Blütenblätter und aromatische Kräuter gefüllt, die einen angenehmen Duft durch den perforierten Deckel ausströmen. Solche Gefäße werden auch als Potpourri bezeichnet.

Die Warenart Fayence wird von der Irdenware aufgrund ihrer Glasur unterschieden. Diese besitzt einen hohen Zinnoxidgehalt und wirkt dadurch deckend weiß. Der Scherben weist eine poröse Struktur auf. Zur Herstellung von Fayence sind im Prinzip alle Tone geeignet.

Fayence wird in Spanien seit dem 13. Jahrhundert produziert. Dorthin gelangte diese Technik durch die Mauren und wurde über Mallorca nach Italien verhandelt; aus diesem Grund bezeichnet man diese Waren als Majolika. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wird Fayence, deren Name sich von der norditalienischen Stadt Faenza herleitet, in Anlehnung an chinesisches Porzellan hergestellt. In Nordeuropa entsteht in Holland seit dem frühen 16. Jahrhundert eine eigene Fayenceproduktion. So wird in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Antwerpen eine Fayencemanufaktor gegründet, ab dem 17. Jahrhundert konzentriert sich die Fayenceherstellung jedoch hauptsächlich auf Delft und Umgebung. In Deutschland entstehen im 17. Jahrhundert zahlreiche Fayencemanufakturen, so 1611 in Arnstadt und 1666 in Frankfurt. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts geht die Fayenceproduktion zurück und wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts gänzlich aufgegeben, da inzwischen preiswertere Ersatzstoffe wie z. B. Steingut zur Verfügung stehen.

Fayence ist mit seiner deckenden weißen Farbe eine Imitation von Porzellan, und so treten auch dem Porzellan entsprechende Verzierungen auf Fayence auf. Zumeist handelt es sich um Malereien in Scharffeuerfarben, d. h. die Farben sind vor dem Glasurbrand auf die getrocknete Glasur aufgetragen. Diese Technik nennt man auch „Faience à grand feu”. An Farben kommen bei dieser Technik Blau, Grün, Violett, Gelb und Rot vor. Eine zweite Möglichkeit, Fayence zu bemalen ist die Methode der Muffelfarben („Faience à petit feu”). Hier werden die Farben nach dem eigentlichen Glasurbrand aufgetragen und die Stücke ein drittes Mal in einer schützenden Muffel gebrannt (Muffeln sind Tonröhren, in denen die Werkstücke gestapelt werden und somit vor der direkten Flamme geschützt sind). Die dritte Möglichkeit besteht in der Kaltbemalung. Hier werden die Lackfarben auf das fertige Gefäß aufgebracht.

Datiert wird das Potpourri durch eine Herstellungsmarke auf dem Boden. Sie zeigt im Dreieck angeordnet drei „C”-förmige Halbmonde. Darunter befindet sich, durch einen Strich getrennt, ein kleines „l”. Diese Marke stammt aus der Fayencemanufaktur Hannoversch Münden, die zwischen 1752/52 und 1854 produzierte. Die drei Halbmonde leiten sich aus dem Wappen des Carl Friedrich von Hanstein, dem Gründer der Hannoversch-Mündener Manufaktur her.

Der kleine Buchstabe „l” weist auf den Maler des Stückes hin. Leider ist die Identität nicht geklärt. Dennoch kann seine Tätigkeit auf die 60er - 80er Jahre des 18. Jahrhunderts eingeschränkt werden. Die Vergleichsstücke mit seiner Signatur datieren zwischen ca. 1765 und 1790. Im Kestnermuseum in Hannover sind fünf Fayencen mit der gleichen Marke vorhanden (Schandelmaier 1989, Katnr. 103, 107, 126, 145, 149). Das „l” ist einmal mit dem Buchstaben „S” und einmal mit einem ligierten, also zusammengezogen „VK” als Monogramm vergesellschaftet. Vergesellschaftet heißt, dass sich die andere Signatur auf dem Deckel (Katnr. 145) bzw. auf einem zugehörigen Teller (Katnr. 141) befindet. Ob diese Paare seit der Produktion zusammengehören, oder erst später im Kunsthandel miteinander kombiniert wurden, läßt sich nicht sicher feststellen.

Potpourri, Hannover
Potpourri Vergleichsstück, Hannover

Die Marke „S” kann dem Maler Georg Christoph Schäfer zugeordnet werden, der 1789 in Hannoversch Münden tätig war (ebd. Katnr. 87, 100, 109, 119, 127, 132, 133). Zwei Stücke mit der Malermarkierung „S” datiert Schandelmaier (1993, Katnr. 82, 126) nach etwa 1770. Die Zuordnung des Monogramms „VK” ist nicht möglich (ebd. 1993, 241-243), die Fundstücke mit diesem Monogramm datieren jedoch alle um 1780 (ebd. Katnr. 101, 104, 137, 145, 148).

Im Kestnermuseum sind zudem formähnliche Parallelen vorhanden (ebd. Katnr. 134, 135, 136). Die älteste und ähnlichste Parallele datiert um 1760 (ebd. Katnr. 134), die jüngste um 1790 (ebd. Katnr. 136). Damit gehört die Form in die Jahre 1760- 1790.

In den Altbeständen des Museums für das Fürstentum Lüneburg befindet sich eine kleine Deckeldose in Form einer Wiege, deren Deckel ebenfalls den Buchstaben „l” als Malerzeichen aufweist. Das Unterteil ist mit einem „B” signiert, das auf den Maler Ernst Ludwig Barthold hinweist, der 1787- 1797 in Hannoversch Münden tätig war (ebd. 239).

Vergleich Malerzeichen
Vergleich der Malerzeichen

Die Datierung durch die Form und die Kombination mit anderen Malermarken weisen auf eine Herstellung des Stückes zwischen 1760 und 1790 hin. Somit handelt es sich um eines der jüngsten Fundstücke aus Kloake 4 der Fundstelle „Auf dem Wüstenort”.

Autor: Marc Kühlborn; in: Aufrisse (Jahresheft des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt e.V.) 11, 1995, 52-56. Download PDF  (1,15 MB)

Literatur